Gemeinschaftsbildung

Kommunikation gestalten - Konflikte konstruktiv lösen

Wenn wir 'Gemeinschaftsbildung' sagen, meinen wir einen Prozeß, der zu konkreten Veränderungen im sozialen Leben führt, die charakterisiert sind von Achtsamkeit, Verständnis und einem friedvollen Miteinander. Für einen solchen Prozeß braucht es Menschen, die ein Bewußtsein dafür haben, wie sich Gewalt oder eben Verständnis im Miteinander der Menschen Ausdruck verschaffen, um zu wissen, ob sie sich gerade auf friedlichen oder gewaltvollen Wegen bewegen. Gewalt findet auch, und sogar meistens im Verborgenen statt. Die sichtbare Gewalt ist die offensichtliche Konsequenz daraus, ist die Konsequenz eines schon länger wirksamen Prozesses.

Mit Gemeinschaftsbildung meinen wir einen Prozeß, der uns Menschen so miteinander in Verbindung kommen läßt, dass Verständnis geschieht. Wir bereichern uns gegenseitig in unseren Begegnungen. Es ist paradox, dass dieser Prozeß sich um so umfassender vollzieht, je individueller der Einzelne sich einbringt.

Verständnis für diese Paradoxon aufzubringen ist nicht einfach, denn immer wieder "beweist" der Alltag das Gegenteil: Je individueller die Menschen auftreten, um so ausgeprägter prallen die Unterschiede aufeinander.

Die Konsequenzen daraus sind Konflikte, im Kleinen wie im Großen, die sich oft nicht auflösen, deswegen immer wieder an die Oberfläche drängen und störend auf das soziale Leben einwirken.

Die Erfahrung, dass im Alltag individuelle Forderungen und gemeinschaftliche Anliegen im Zwist miteinander liegen und die beteiligten Menschen bestenfalls Kompromisse finden, die, genauer angeschaut, nichts anderes bedeuten, als dass niemand wirklich zufrieden ist, führt zu dem Kurzschluß, dass es "egoistisch ist, an sich selbst zu denken und es in der Gesellschaft/Gemeinschaft nicht anders geht, als das sich ein jeder selbst zurücknimmt, so weit es eben nötig ist".

Dies ist ein tragischer Kurzschluß, weil so leicht übersehen wird, dass es sich hierbei nicht um gegebene Naturgesetze handelt, auch wenn es sich so anfühlt, und der ernsthafte Versuch, die sich ergebenden folgenden zwei Fragen zu stellen, wird erst gar nicht gemacht:

Wie müßte denn die Kommunikation gestaltet sein, damit individuelle Eigenheiten nicht in solche Konflikte münden?

Und schließlich, wenn es geschieht: Muß die Energie, die im Konflikt erlebt wird, gegeneindander gerichtet bleiben?

Die Energie, die im Konflikt erlebbar wird, äußert sich z.B. als Ärger über das, was ein anderer Mensch sagt oder tut:

"Ich bin ärgerlich, weil Du immer wieder xyz tust!“, oder

"Wir finden nicht zu gemeinsamen Entscheidungen, weil Sie Ihre Wege gehen, ohne auf die Arbeitsbereiche anderer Mitarbeiter zu achten!“

"Wenn DU nur endlich mal zur Einsicht kommen würdest, dann..."

Hier wird der Gedanke deutlich, dass der Grund für den Ärger 'draußen' zu finden ist. Die Energie, die im Konflikt lebendig wird, hat ihre Quelle aber nicht 'da draußen'. Sie entzündet sich an dem, was draußen geschieht. Ihre Quelle allerdings findet sich gerade dort, wo der Ärger lebendig ist, in dem Menschen selbst. Wenn es aber so ist, dass ich betroffen bin und ich es bin, in dem der Ärger seine Quelle hat, habe ich auch die Macht, darüber zu entscheiden, welche Wege er nimmt und welche Ausdrucksformen er annimmt. Denn es ist meine Energie. Auch die Tatsache, dass ich immer wieder Situationen erlebe, in denen mein Ärger mit mir durchgeht ändert nichts daran, dass es meine Energie ist, die sich da bemerkbar macht. Draußen liegt der Auslöser meines Ärgers. In mir die Ursache.

Wenn sich das im Leben oft anders anfühlt,liegt es daran, dass nicht zwischen Auslöser und Ursache unterschieden wird:

Der Auslöser, z.B. für meinen Ärger, ist das, was möglicherweise ein anderer Mensch sagt oder tut.

Die Ursache ist das, was ich in mir finden kann, als meinen Grund für meinen Ärger.

Es ist paradox. Es klingt vielleicht verrückt, es ist tatsächlich so:

Wenn wir die Energie, die im Konflikt lebendig wird, nutzen wollen, um etwas miteinander zu erreichen, geht es darum inne zu halten, sobald es im zwischenmenschlichen problematisch wird, und damit zu beginnen, die Aufmerksamkeit auf uns selbst zu richten, um zu klären: Welches sind die inneren Gründe für meinen Ärger, meine Trauer, meine Gedanken, meine Handlungsimpulse?

Wenn ich weiß, warum ich etwas tue, gewinne ich die Grundlage, um sagen zu können: „Jetzt habe ich Klarheit über das, was ich selber will. Jetzt ist mein Handeln nicht länger eine Reaktion auf das, was andere sagen oder tun. Jetzt beginne ich selbstbestimmt zu handeln.“

Auf einem solchen Weg erfüllen sich grundlegende Bedürfnisse, die alle Menschen miteinander teilen: Selbsbestimmung und Selbstvertrauen; ich beginne mich anzunehmen, so wie ich bin, denn ich gewinne Verständnis für mich selbst, also Selbstannahme und Selbstverständnis.

Ich verurteile weder mich noch andere wegen irgendwelcher Handlungen, weil ich erfahren habe, dass ich den Weg gehen kann zu verstehen, wenn ich unterscheide zwischen Auslöser und Ursache.

Wenn ein Mensch versteht, braucht er nicht mehr zu verurteilen.

Wenn die Menschen ihre Verantwortung für ihre Gedanken, Gefühle und Taten zu sich nehmen, indem sie Auslöser und Ursache unterscheiden, wachsen Vertrauen und Sicherheit in der Gemeinschaft.

Eine Anmerkung, um klarzustellen, welche Qualität von Verständnis hier gemeint ist:

Es geht mir nicht um ein Verstehen in der Art, wie ich verstehe, dass 1+1=2 ist. Es geht mir um ein Verstehen, dass ich erlebe, wenn ich mitfühle, aus welchen inneren Beweggründen heraus der andere Mensch sich so verhält, wie er es eben tut. Ganz besonders auch dann, wenn ich sein Verhalten nicht hinnehmen will, oder wenn ich merke, dass ich sogar alles dafür tun möchte, um zu verhindern, was er tut, weil es meinen inneren Wertvorstellungen widerspricht.

Solch ein Verstehen ist ein innerer Prozess, der völlig unabhängig davon ist, ob mir das, was ich verstehen will, gefällt oder nicht. Wenn es mir gelingt, nichts zu verurteilen, nichts als falsch oder richtig zu bewerten, dann eröffnet sich mir ein Weg, so verstehen zu können.

Deswegen ist das entscheidende Geschehen, damit Gemeinschaften sich bilden können, die sich auszeichnen durch Achtsamkeit, gegenseitigen Respekt, durch Offenheit, Interesse und Lebendigkeit, dass Menschen beginnen, sich in dem Sinne um sich selbst zu kümmern, dass sie die Gründe erleben, warum sie so denken, fühlen und handeln, wie sie eben denken, fühlen und handeln, denn es ist eine sichere Grundlage, um nicht länger in Begriffen von 'richtig' und 'falsch' in Bezug auf Menschen zu denken.

Um dies zu tun, braucht es niemand anderen. Es ist ein Weg, den jeder sowieso nur aus ganz eigenem, freiwilligem Entschluss heraus gehen kann.

Zwei oder drei (oder mehr) Menschen können sich zusammentun und zu einander sagen:

'Es kann sein, dass Du etwas tust, worauf hin ich Dir alle möglichen Urteile, Vorwürfe, vielleicht sogar Beschimpfungen an den Kopf werfe, die Kommunikation mit dir abbrechen will, oder was auch immer. Bitte vergiss nicht, dass ich gerade dann am allerdringendsten deine Unterstützung und dein Verständnis brauche, um inne zu halten und zu klären, warum ich so reagiere, wie ich es tue.

Wir versichern uns, dass wir alle unsere Reaktionen zu uns selbst nehmen wollen. Wir versichern uns, dass wir wissen, dass es Situationen gibt, in denen uns das nicht gelingt. Dass es darum geht Verständnis zu finden. Und das die Gründe für all unser Tun in jedem selbst liegen. Ausnahmslos.'

Wenn wir mit zwei oder drei, oder mehr Menschen in diesem Bewusstsein unsere Begegnungen konsequent gestalten, dann kann Entwicklung und Wachstum in einer Intensität und Lebendigkeit geschehen, die, gemessen an den alltäglichen Erfahrungen, unvorstellbar sind.

In solchen Momenten wird es zur konkreten Erfahrung, dass individuelle Entwicklung und Gemeinschaftsbildung sich mehr als vertragen, sie bedingen sich. Die einzelnen Menschen sind im tiefsten Sinn - wirklich - eine Bereicherung füreinander.

Wir wollen dazu beitragen, dass das jetzt geschehen kann.